Der zweite Fluss
- Juni 1, 2025

Ich stand einen Moment still und staunte. Zur rechten Seite die Reuss, wie erwartet. Doch links von mir, noch ein Fluss? Ruhig lag er da, fast regungslos – ein Kanal, wie ich bald erkannte.
Ich kannte diesen Wasserlauf nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass er überhaupt existierte. Und genau deshalb ist das Entdecken des unbekannten Kanals so bedeutsam – es passiert mitten im bewussten Erkennen eines bekannten Flusses.
Doch eins, nach dem anderen. Der Wanderplan, die Reuss zu Fuss zu entdecken, nicht an einem Stück, sondern in Etappen war die Ausgangslage. Vom Ursprung bis zur Mündung. Schritt für Schritt den Fluss entlang, der unsere Region durchzieht wie eine Lebensader – vertraut und doch nie ganz wirklich angeschaut. Es war kein sportliches Ziel, kein Projekt für Likes oder Rekorde. Es war eher ein stilles Bedürfnis, dem fliessen des Wassers zu folgen.
An diesem Tag beging ich ein „Zwischenstück“, wie man so sagt. Die Reuss begleitete mich wie gewohnt: sanft, beharrlich, manchmal wild, dann wieder zahm. Die Natur zeigte sich in einer Fülle von Farben und eindrücklichen Naturwundern. Der Wasserstand war durch langanhaltende Trockenheit sehr tief.
Und so stand ich da also und staunte. Ich wohne seit Jahren hier, doch von diesem Kanal wusste ich nichts. Ich kannte seine Existenz nicht. Nicht einmal ansatzweise. Er lag einfach da, still, selbstverständlich. Als müsste ich mich bei ihm entschuldigen, dass ich ihn so lange übersehen hatte.
Ich ging weiter, ein paar Schritte am Kanal entlang, bevor ich wieder zur Reuss zurückkehrte. Mein Blick war danach ein anderer. Nicht nur auf den Fluss – sondern auf alles, was sich in der Nähe noch nicht gezeigt hat. Und vielleicht nie zeigt, wenn man nicht langsam genug geht.
Und ich erkannte die Inspiration dieser Situation: Die äussere Entdeckung eines unbekannten Kanals wird zum Spiegel für das Innere – für die Frage, wie viel auch im eigenen Menschsein noch unentdeckt, unbemerkt, unerkannt liegt, obwohl wir doch scheinbar „daheim“ sind in uns selbst. Wie viele „Nebenkanäle“ gibt es in mir, die ich noch nie gesehen habe, weil ich zu sehr dem Hauptstrom folgte? Wieviel liegt direkt neben dem, was ich zu kennen glaube, und bleibt dennoch unerkannt?
Magst du auch einen Moment innehalten?
• Wie oft erkennst du Neues, dass du vorher nicht bemerkt hast um dich und in dir?
• Wieviele «Nebenkanäle» gibt es in dir, die du noch nicht erkundet hast?
• Was ermöglicht dir, deinen Raum der Entdeckung zu erweitern?
Wir leben in uns selbst in einer vertrauten Umgebung. Und doch entdecken wir manchmal – durch Zufall oder Aufmerksamkeit – etwas ganz Neues, ganz Nahes.
Und – vielleicht sind wir ganz erstaunt oder erkennen wir, dass es schon immer da war.
Wa(h)re Gesundheit? Welche Verbindung zu deiner Natur lebst Du JETZT?

